Lördags-Godis – oder warum nur am Samstag naschen?
Lördags-Godis – oder warum nur am Samstag naschen?
Der Begriff Lördags-Godis (Samstagssüßigkeiten) kam 1950 – 1960 in Schweden auf. Hier hatte man festgelegt, dass Kinder nur an Samstagen naschen dürften.
Das Naschen an nur noch einem Tag in der Woche sollte den Kariesangriff auf die Zähne gegenüber täglichem Naschen einschränken. Diese These basierte auf den Richtlinien der Gesundheitsbehörde nach dem Ergebnis einer Studie, des sogenannten Vipeholm – Experimentes.
Lösgodis – lose Süßigkeiten nach Gewicht bezahlen
Die schwedischen Geschäfte führen seit 1985 ganze Schütten voll mit Süßigkeiten, die selbst abgefüllt und dann nach Gewicht bezahlt werden.
Auch in Schweden sind die Eltern immer weniger streng mit ihren Kindern und diese erhalten auch regelmäßig Taschengeld. Es wurde immer schwieriger, den Kindern das Naschen zu verbieten. Auch die Beschränkung auf nur einen Tag der Woche funktioniert nicht mehr. Der Zugang zu Süßigkeiten ist durch das Angebot von Lösgodis enorm erleichtert worden. Die Kinder können sich diese einfach selbst kaufen, ohne ihre Eltern fragen zu müssen.
Das Vipeholm – Experiment – dunkle Vergangenheit
Besagtes Experiment war eine medizinische Untersuchung an Patienten der Vipeholm – Anstalt in Lund. In den Jahren 1945 – 1955 wurde dieses an Behinderten durchgeführt. Im Nachhinein entbrannte eine Debatte über medizinische Ethik in Schweden; damaliger Verantwortlicher war der Krankenhausleiter Hugo Fröderberg.
Hintergrund des Experimentes
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war die Zahngesundheit in Schweden einfach lausig. In den 1930er Jahren hatten 99,9% aller Wehpflichtigen Karies. Es war sogar normal, dass bereits 3 – Jährige Karies an ihren Milchzähnen hatten. Die Sozialdemokraten versuchten dann, eine zahnmedizinische Versorgung in ganz Schweden einzuführen, was aber an den hohen Kosten scheiterte. Dies war Anlass für den Reichstag, der Gesundheitsbehörde eine grundlegende Studie in Auftrag zu geben.
Der verantwortliche Statistiker Gunnar Dahlberg gab hierzu an, dass für eine aussagekräftige Studie mindestens 1000 Testpersonen notwendig seien. Vergangene Studien hatte man an Gefangen und Kindern in Kinderheimen durchgeführt. Allerdings wurden diese unterbrochen , da diese Personen die Institutionen, in denen sie lebten, irgendwann ja auch wieder verließen. Man brauchte also für die aktuelle Studie Versuchspersonen, deren Nahrungsaufnahme man über einen längeren Zeitraum kontrollieren konnte.
Vipeholm
Vipeholms Krankenhaus im östlichen Lund war ein Reichskrankenhaus, welches Patienten mit schweren Verhaltens – und Entwicklungsstörungen aus dem ganzen Land aufnahm. Hierbei wurden sowohl Erwachsene als auch Kinder als Patienten behandelt. Weshalb ausgerechnet dieses Krankenhaus für die Studie ausgewählt wurde, lag daran, dass hier über 1000 Patienten dauerhaft lebten und die selbe Umgebung und das selbe Essen teilten. Hier gab es also die einmalige Gelegenheit, Versuchsgruppen für langjährige Studien zu bilden.
Durch die verschiedenen Abteilungen im Krankenhaus konnte man stabile Versuchs – und Kontrollgruppen bilden. Von den ca. 1000 Patienten in Vipeholm nahmen rund 650 an dem Experiment teil – selbst ein Teil des Personals machte mit. Die verschiedenen Gruppen erhielten veränderte Mahlzeiten. Hier testete man unterschiedliche Theorien, die den Anstieg oder die Minderung von Karies bewirken könnten.
Einige Gruppen erhielten Vitaminzugaben, andere aßen besonders fetthaltige Mahlzeiten. Wiederum andere durften zwischen den Mahlzeiten richtig viel Schokolade und Toffee (Kola)essen. Oftmals waren die Patienten originelle Persönlichkeiten, die sich auf die Verteilung der Süßigkeiten freuten. Einige Patienten musste man unterstützen, indem man das Papier von den Bonbons entfernte, damit sie dieses nicht mitaßen. Wieder andere hatten die Bonbons über und versteckten diese dann in Betten und Möbeln. Die Bonbons waren speziell für den Versuch hergestellt worden und verblieben extra lange im Mund. Über die Bildung von Karies wurde Buch geführt und die evtl. Löcher in den Zähnen von dafür angestellten Zahnärzten versorgt.
Das Vipeholm Krankenhaus wurde in den 1960er Jahren dann aufgegeben und alle Patienten nach Hause oder in die Landkreise entlassen. 1982 wurde das Krankenhaus in ein Pflegeheim umgewandelt und 1993 dann für immer geschlossen. Teile des Krankenhauses wurden abgerissen, andere als Schulgelände weiter genutzt (auf dem Bild: Vipan Gymnasium).
Das Experiment
Gemeinsam mit der Gesundheitsbehörde bestimmten die Forscher, welche Kariesprovozierende Diät die Patienten erhalten sollten. So erhielt eine ausgewählte Gruppe einen speziellen Bonbon (Kola – Rezept) – genannt Vipeholm – Toffee.
Nach etwa 10 Jahren waren dann die Studien abgeschlossen. Diese Studien zeigten einen eindeutigen Kariesbefall an den Zähnen der Probanden. In einem Bericht von 1952 schrieb man, dass man nicht vergessen dürfe, dass der Toffee, der zur Anwendung kam, so nicht im Handel vorkäme. Dieser besondere Toffee war speziell dafür entwickelt worden, lange an den Zähnen haften zu bleiben. So sollte die Auswirkung des Zuckers an den Zähnen länger halten. Letztlich entschied man, dass dieser Toffee dennoch mit einigen im Handel erhältlichen Süßigkeiten vergleichen werden könne. Die Studie bewirkte in Folge, dass die Empfehlungen für die Zahnhygiene sich völlig veränderten. Unter Anderem zeigte sie auf, dass es für die Zahngesundheit empfehlenswerter wäre, nur einmal in der Woche zu naschen. Täglich Zucker zu konsumieren, löst Karies aus und so entwickelte sich die Empfehlung und der Begriff „Lördagsgodis“.
Das Resultat
Die Zahnmedizin hat von den Vipeholm – Untersuchungen dennoch profitiert. Im Endergebnis hatte man erkannt, wie sich Zucker auf die Zähne auswirkt und warum der Kariesangriff sich erhöhte.
Ethische Sicht
Alle Experimente wurden ohne die Zustimmung der Angehörigen vorgenommen. Keiner der Teilnehmenden wurde jemals befragt und auch noch heute wird dieses Experiment sehr kritisch diskutiert.
Meine persönliche Erfahrung
Als Kind durfte ich selbst erleben, samstags von meiner Mormor eine „Lördags-Påse“ (Samstags-Tüte) zu bekommen. Befüllt mit den süßesten Leckereien, teilte ich mir diese ein und aß nicht alles gleich auf. Mich verbindet mit dieser Erinnerung nur Positives – als Kind kannte ich selbstverständlich den dunklen Hintergrund nicht!
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